Dampf ablassen zum Sonderpreis

Jetzt kommen auch die Letzten aus ihren Löchern gekrochen.

Sie wittern schon seit einer ganzen Weile Morgenluft, und bald werden sich auch die letzten Primitiven herauswagen und pöbeln.

Jetzt haben WIR das sagen [sic!]!

Jetzt werden andere Seiten [sic!] aufgesogen [sic!].

Ihr seit [sic!] auch bald an der Reihe.

Ihr werdet schon sehen. Ihr könnt demnächst alles [sic!] einpacken.

Gerne in öffentlichen Verkehrsmitteln, gerne bei kleinen Zusammenstößen im Alltag. Und nach meiner Beobachtung am allerliebsten gegenüber „ausländisch aussehenden“ Frauen.

Bei Frauen sind die Primitiven immer mutiger, auch in anderen Zusammenhängen, auch bei deutsch aussehenden Frauen – Kassiererinnen, Kellnerinnen, Verkäuferinnen sind die Lieblingsbeute von Primitiven.

Klar nehmen sie auch mal mit einem Mann vorlieb, Hauptsache die Person ist nicht allzu wehrhaft und eloquent. Oder sie tun sich zusammen gegen Einen.

Dampf ablassen zum Sonderpreis.

Wehrt sich eine „ausländisch aussehende“ Person wider Erwarten (oder wie erhofft?) schlagfertig, wirft man ihr schlechtes Benehmen vor – und stellt ihnen die baldige Ausweisung in Aussicht.

Oh, ein Satz mit 4 x aus. Nicht auszuhalten.

Doch, wir halten das aus, denn aus ist es erst, wenn wir uns in Löcher verkriechen.

Das wird ein heißer Herbst. Zieht Euch warm an!

Wehe, Du teilst das nicht oder die Diktatur der Kopiere-das-in-Deinen-Status-Meldung

Es gibt kaum eine zwischenmenschliche Interaktion, die mich zorniger macht als Nötigung in Verbindung mit der Erzeugung von Angst oder Schuldgefühlen – egal ob diese offen und massiv oder mit ach so subtilem moralischen Druck daherkommt.

Auf Facebook greift eine besonders infame Form der Nötigung immer mehr um sich: Die Teile-das- oder Kopiere-das-in-Deinen-Status-Meldung und deren mehr oder weniger dreiste Varianten. Dieses kaum verhohlene diktatorische Gehabe nervt mich inzwischen dermaßen, dass ich mich nur mit Mühe zurückhalten kann, um nicht einen verärgerten Kommentar zu hinterlassen. Die einzelnen Verbreiter denken sich oft nichts Böses und merken möglicherweise gar nicht, dass sie zur Verbreitung fragwürdiger Kettenbriefe beitragen.

Zu Beginn waren das meistens scheinbar harmlose Aufforderungen, die aber in Wirklichkeit unverblümt Druck ausüben mit Formulierungen à la „Kopiere das in Deinen Status, wenn auch Du gegen Kinderschänder bist.“ Aha – wenn ich das nicht kopiere, befürworte ich also Kinderschändung – für alle überprüfbar. Alles klar.

Eine Variante ist „Poste das denen, die Dir wichtig sind.“ Whamm – wenn ich also niemanden damit beglücke, zeige ich allen Menschen den Stinkefinger und signalisiere ihnen, insbesondere dem Urheber dieser Meldung (nichts zu danken!), dass sie mir sch…egal gleichgültig sind.

Vermutlich wegen des wachsenden Unmuts über die Befehlsform sind gaaanz raffinierte Kontrollfreaks inzwischen zu so scheinheiligen Formulierungen wie „viele werden das nicht in ihren Status kopieren, aber wenn auch Du gegen Tierquälerei bist, …“ übergegegangen. Beliebt ist auch, um einen Gefallen zu bitten – und dann soll man aus Respekt vor [hier an einer Krankheit leidende oder gestorbene Menschen/Kinder einsetzen] den Status kopieren. Auch hier hat die Person

(…)  ein gutes Gespür dafür, wer das tun wird

und hofft, dass sie recht behält „bezüglich der Menschen, die es tun“. Ach ja, und was darf nicht fehlen? Genau – siehe Kommentar unten. Heißt: Wer von mir gemocht werden will, hat zu gehorchen.

Ganz besonders heftigen Würgreiz starke antiperistaltische Bewegungen der oberen Verdauungswege löste bei mir ein Kettenbrief mit eingebauter Kontrollfunktion aus, der anderen auf ihre Pinnwand geknallt wurde, wie ein Molotov-Cocktail, der durch die Fensterscheibe fliegt.

Das hier bekam eine Freundin auf Facebook 1:1 auf ihre Pinnwand gepostet:

Ich bat einen Engel, letzte Nacht über dich zu wachen, aber er kam zurück.Ich fragte „Warum?“ . Der Engel sagte. „Engel wachen nicht über Engel!“ 20 Engel gibt es in deiner Welt. 10 davon schlafen, 9 spielen und 1 liest diese Nachricht.Bitte lies . es ist kein Scherz . Gott hat bemerkt, dass du mit etwas kämpfst.Gott sagt, dass es vorbei ist. Du erhältst einen Segen.Wenn du an Gott glaubst, sende diese Nachricht weiter, bitte ignoriere sie nicht, du wirst geprüft.Gott wird zwei – große – Dinge heute Nacht in deinem Sinne regeln.Wenn du an Gott glaubst, lass alles fallen und gebe es weiter. Morgen wird der beste Tag überhaupt.Sende dies an 10 Freunde (inklusive mir). Wenn ich es nicht zurückbekomme, nehme ich an, dass ich nicht dazugehöre.So bald du 5 Antworten bekommst, wird jemand, den du liebst, dich leise überraschen.

Oh oh – was jetzt? Ignorieren geht nicht – der Weiterverbreiter überwacht unerbittlich die Rückläufe, und wehe, Deiner fehlt! Löschen geht schon gar nicht – dies käme einer Entfreundung gleich. Naaaiiiin, so einen schleimtriefenden liiiieben Post, noch dazu was mit Engeln, löscht. Man. Doch. Nicht.

Nun wird also selbst der liebe Gott mitsamt zehn Engeln vor den Karren gespannt und über Facebook-Pinnwände getrieben, um andere Menschen zu drangsalieren (okay, im Falle vom lieben Gott soweit nichts Neues). Liebe Engel-Kettenbrief-Kontrollfreaks, seid gewiss, dass die Engel so etwas überhaupt nicht mögen! Im Gegenteil – ich gebe Euch Brief und Siegel, dass in dem Moment, in dem Ihr auf „posten“ klickt, alle zehn Engel aufschrecken, die Zügel abwerfen und fluchtartig davonflattern. Im Zickzackflug. Und nicht ohne Euch vorher mit genau der Missbilligung zu überschütten, die Ihr den Ungehorsamen so subtil in Aussicht stellt.

Was ist das für ein Freund, der anderen – möglicherweise emotional nicht allzu stabilen – Menschen die Pistole auf die Brust setzt mit einer unmissverständlich Message à la „Wenn Du nicht machst, was ich sage, weiß ich, woran ich mit Dir bin, Du herzloses Stück Scheiße, und werde die Konsequenzen ziehen“? Genau. Selbst für eine Nur-Facebook-Freundschaft ziemlich heftig – mal ganz abgesehen von der gruseligen Interpunktion.

Keine Ahnung, was die Ärmste letztendlich damit angefangen hat – zumindest hat sie „gefällt mir“ geklickt, vermutlich, um sich eine Galgenfrist zu verschaffen. (Update: das „gefällt mir“ ist wieder weg“. Tapferes Mädchen!)

Sollte mich  JE-MALS eine/r mit solchem Psycho-Müll bewerfen, werde ich diejenige sein, die die Konsequenzen zieht, bevor sie/er „Menno“ sagen kann. Versprochen.

Ach, und bevor jemand klugscheißt, dass man sich seine Freunde eben sorgfältiger aussuchen soll, klugscheiße ich schon mal im Voraus zurück: Die meisten Nur-Facebook-Freunde verstehen sich in der Regel als Mitglieder von Netzwerken. Nicht mehr und nicht weniger.